Schon die Tatsache, daß soviel und immer mehr gesprochen wird, hat eine verhängnisvolle Wirkung: Die Worte nützen sich ab. Es gehört zu den schlimmsten Erfahrungen jedes Sprechenden, wenn er für etwas echt Erkanntes einen guten Ausdruck findet, dieser aber nach kurzer Zeit verschlissen ist, einfach dadurch, daß so viele ihn nachsagen und immer schlechter nach- sagen. Scheut man sich nicht, sie zu gebrauchen? Aber was soll man tun, wenn es keine anderen gibt? Was fängt man mit den zu Tode geredeten Worten an? Es bleibt wohl nur eines: immer einfacher zu sprechen, denn die Einfachheit widersteht der Zerstörung am längsten. Wer es aber mit ihr versucht hat, weiß, wie schwer es ist. Sie ist nämlich Meisterschaft.
Etwas anderes ist noch schlimmer: daß die Worte ihre Tiefe verlieren. Alle echten, aus langer Geschichte heraufgewachsenen Worte wurzeln in den Gründen des Seins, im Religiösen. Diese Wurzeln sterben aber im Fortgang der neueren Zeit ab. So verlieren die Worte die Dimension nach innen, die Frömmigkeit. Schlägt man in einem Wörterbuch nach, dann kann einem ganz schwer zumute werden, wenn man sieht, wie flach ein Wort geworden ist, in dem früher die Tiefe redete.
Dann aber gibt es das wirkliche Verbrechen am Wort: die bewußte Verwirrung durch die Propaganda. Überall stoßen wir heute auf Worte, bei denen wir von ihnen selbst her nicht wissen, was der Sprechende meint. Sie drücken nicht mehr aus, packen nicht mehr. Denn das echte Wort entsteht immerfort aus der Redlichkeit des Wahrheitswillens und der Achtung vor dem Vertrauen des Hörenden; hier aber wird es von der bewußten Lüge regiert - falls nicht der Sinn für Wahrheit überhaupt erstorben ist und es nur noch um Wirkungen geht. Oder kann man behaupten, Worte wie »der Friede« oder »das Recht« oder »die Demokratie«, hätten noch einen gemeingültigen Sinn? Muß man nicht geradezu eine neue Art des Hörens lernen, nämlich das Vernommene zunächst dahinzustellen und es aus der politischen Position des Sprechens heraus interpretieren? Eine Kunst, die früher nur den Diplomaten auferlegt war? Romano Guardini
Guardinis Rede gibt es beim "Börsenverein" ungekürzt als kostenlosen Download: https://www.friedenspreis-des-deutschen-Buchhandels.de/sixcms/media.php/1290/1952_guardini.pdf